Bald sind die letzten Shows vorbei und etwas, was ich vermissen werde, sind die vielen Begegnungen mit engagierten Leuten. Vor allem war es spannend zu sehen, wie viele Menschen sich persönlich für nachhaltige Projekte einsetzten wollen.
Eigentlich gibt es viel zu viele Beispiele und tolle Personen, als dass ich sie hier alle erwähnen könnte. Es gibt aber auch ein paar persönliche Highlights, welche ich nicht vorenthalten will.
- Alessandro Ghiani hat mir von einem Projekt erzählt, indem sie probieren Fahrräder unter die Leute zu bringen, welche vor allem aus Bambus gebaut sind. Die Idee ist nicht ganz neu, anscheinend gab es schon vor hundert Jahren die ersten derartige Geräte. Nun wir der nachwachsende Rohstoff wieder beliebter und sehr schick verarbeitet. http://www.thebamboo.net/
- Meret Latscha hat mir von ihrem Engagement erzählt von einem Verein, welcher sich in Zürich Gemüse von Biobauern organisiert, welches nicht gut genug für den Massenmarkt ist. Die Produkte werden dann im eigenen Laden gegen Kollekte verkauft. Spannende Eigeninitiative im Kleinen. http://www.biofuerjede.ch/
- Stefan Pfander vom Kulturnetzwerk vivamos.ch hat schon verschiedenste Ideen unterstütz. Eine spannende Zusammenarbeit entstand mit Biovision von Dr. Hans Rudolf Herren. Mit biologischer Schädlingsbekämpfung hat man so eine Hungersnot abgewendet, an welcher sonst bis zu 20 Millionen Menschen gestorben wären. Spannende Eigeninitiative im Grossen.
- Die 74 jährige Erika S. hat mir an einer Show ein paar Blätter zugesteckt. Auf der Heimreise vertiefte ich mich in das Tagebuch einer Reise von ihr, welche sie 1962 gemacht hat. So viele Situationen habe ich genau gleich erlebt wie sie damals vor über 50 Jahren. Andere Sachen haben sich in Skandinavien extrem verändert. Sie hat mir erlaubt den Erlebnisbericht hier zu veröffentlichen. Habt keine Angst vor der Länge, die 10 Seiten habe ich in wenigen Minuten verschlungen. Viel Spass bei der Lektüre:
Per Autostop durch den Norden (anno 1962)
Als junges Mädchen arbeiteten meine Freundin und ich einen Sommer lang als Mädchen für alles in einem Hotel in Dänemark. Zum Saisonende beschlossen wir, die Gelegenheit zu nutzen und noch eine Nord-Autostopp-Reise anzuhängen.
Am ersten Reisetag fahren wir mit der Fähre hinüber nach Hälsingborg, Schweden. Dort stehen wir lange Zeit am Strassenrand, winken und winken, aber alles fährt stur an uns vorbei. "Komisch", sagt Esthi, " sonst ging es doch immer so gut mit Stoppen - was ist denn heute los?" Endlich nimmt uns jemand ein Stück mit und erklärt uns, dass gegenwärtig eine Kampagne gegen autostoppende Mädchen im Gang sei. Das verstehen wir nun gar nicht, Mädchen sind doch viel ungefährlicher als Burschen...
Mitten in einem grossen Wald muss ein Förster, der uns mitgenommen hatte, abschwenken. Er lässt uns aussteigen und schenkt uns zum Abschied ein paar Äpfel, die uns sehr willkommen sind. Mampfend stehen wir zwischen den dunklen Tannen. Viele Autos brausen vorbei, aber keiner will bremsen. Plötzlich bremst ein VW und kommt rückwärts angefahren. "Bernina" steht gross am Auto. Leider ist dann eine Unterhaltung nicht möglich, denn der Lenker spricht nur Schwedisch, dies aber pausenlos. Schliesslich zeigen wir in einem Moment der Stille auf uns und sagen "Schweizer", dann deuten wir auf einen Nähmaschinen-Prospekt und sagen ebenfalls "Schweiz". Da hat er die grösste Freude, und zum Abschied will er Esthis Schweizerfähnchen, das in ihrer Reisetasche steckt.
"Do you speak english?" fragen wir den nächst Anhaltenden. Das tut er, denn er ist Engländer, geschäftlich unterwegs. Selten hatten wir so eine anregende Unterhaltung. In Jönköpping suchen wir alle eine Unterkunft, der Gentleman auf dem Zeltplatz und wir in einem Hotel. Am nächsten Morgen fahre er direkt nach Stockholm, ob wir mitfahren möchten, sagt er zum Abschied. Schade, aber leider Gottes haben wir einen grossen Umweg vor, da in Boras postlagernde Briefe auf uns warten.
Schon um halb 8 Uhr morgens sind wir ausserhalb der Stadt, wieder werden wir ein Stück weit mitgenommen, erneut stehen wir mitten in einem Wald, das wird uns in diesen waldigen Gegenden noch öfters passieren. Es ist neblig und kalt. So beginnen wir zu wandern, obwohl das Gepäck nicht gerade leicht ist und es bergauf geht. In der Ferne erblicken wir ein Gestell zum Milchverladen. Wir genehmigen uns eine kleine Rast, und siehe, kaum sitzen wir dort, hält das erste Auto an. Zwei junge Männer nehmen uns mit und während der Fahrt kommt aus, dass der Mitfahrer ein Oesterreicher ist. In Boras führen sie uns vor die Post, wir gehen hinein, um unsere Briefe abzuholen. Während wir am Schalter stehen, beschleicht uns naive Zeitgenossinnen plötzlich ein Unbehagen. Unser ganzes Gepäck ist im Auto, samt Pässen und Geld... Die Beiden haben aber auf uns gewartet und unser Vertrauen wurde nicht missbraucht.
Trotz der schnöden Propaganda kommen wir nun zügig weiter. Die Landschaft ist lieblich, Hügel, Wälder, Birken, viele kleinere und grössere Seen und schönes Wetter.
Die letzten 400 Kilometer bis Stockholm dürfen wir mit einem äussert liebenswürdigen Herrn zurücklegen. In Oerebro möchte er schnell seine Mutter besuchen, sagt er. Diesmal lassen wir wirklich ohne dummes Gefühl alles im Auto, ein so netter Mann kann nicht schlecht sein. Und pünktlich auf die Minute kommt er zur vereinbarten Stelle. Es dunkelt schon, der Fahrer steuert gut und schnell sein Auto dem Ziel entgegen. Um 21 Uhr fahren wir in Stockholm ein und der Fahrer bringt uns zum "Jugi-Schiff", aber leider ist alles besetzt. Doch er lässt uns nicht stehen und führt uns zum Bahnhof, wo wir in der Touristeninformation die Adresse einer andern Jugi erhalten. Auch dorthin bringt er uns noch. "Hier ist meine Karte, falls sie irgendwie in Schwierigkeiten sind, rufen sie mich an."
"Die Finnen sind die nettesten Menschen der Welt", erzählt eine junge Oesterreicherin, die ganz allein in Suomi herumreiste, und die Aussichten zum Stoppen seien einfach ideal.
Während die andern noch schlafen, packen wir frühmorgens unsere Sachen im Korridor. Doch, o Schreck, das Schiff nach Finnland geht erst um 18 Uhr abends. Wir besorgen uns die Fahrkarten und stellen das Gepäck im Bahnhof in ein Schliessfach. Getrost schlendern wir durch die Grossstadt und genehmigen uns eine Kanalrundfahrt. Zeitig sind wir wieder im Bahnhof und stehen vor unseren Schliessfächern. Ich stecke den Schlüssel ein - und erstarre. Ich schliesse meine Augen und schaue nochmals hin. Aber kein Zauberer hat inzwischen mein Gepäck hineinbefördert. "Was ist?" fragt Esthi ahnungslos, ihre Tasche herausziehend. "Es ist alles weg" stammle ich. Meine erschreckte Miene bewog einen vorübergehenden Deutschen, uns zu erklären, dass dies öfters vorkomme. "Man mietet ein Fach, lässt sich einen Zweitschlüssel giessen und leert später das Fach so oft man will." Ich solle sofort zur Bahnhofpolizei, riet er noch. Doch diese schicken mich zur Gepäcksaufbewahrung und schon von weitem sehe ich mein rot-weisses Schweizerfähnchen mir entgegenleuchten. Keine Spur also von Diebstahl - im Gegenteil! Ich hatte nämlich mein Gepäck ins Fach 66 gelegt und das Fach 67 abgeschlossen. "Da kommt sie ja mit ihren Klamotten" ruft unser deutscher Berater. In der Zwischenzeit hatten er und zwei andere deutsche Jungs Esthi mit Schauergeschichten aus der Stockholmer Metropole unterhalten. Er war wohl fast etwas enttäuscht, dass diese Story so gut ausging.
Dann wird es Abend und wir begeben uns an Bord. Es ist wirklich grandig, durch die Meeresärme von Stockholm ins offene Wasser zu fahren. Die Sonne versinkt glühend rot hinter den Häusern und lange sitzen wir noch an Deck. Leider hat unsere Kabine kein Bullauge, dabei hatten wir es uns so schön ausgemalt, frühmorgens aufs Wasser zu schauen. Da die Kabine nicht billig ist, wollen wir etwas fürs Geld und liegen schon um 21 Uhr im Bett. Das Schiff gleitet sachte übers grosse Wasser und die Papiersäcke neben dem Bett bleiben unbenützt. Schon um halb 6 Uhr werden wir geweckt. "Was ist, wir sollten doch laut Fahrplan erst um 8 Uhr ankommen?!" Auf Deck lacht uns strahlende Sonne entgegen. Links und rechts kleine Inselchen, und Wald, Wald, Wald. Um sieben Uhr laufen wir den Hafen an, und sind verwundert, dass so viele Leute reisefertig sind. In Turku sollten wir ja erst in einer Stunde ankommen. Da frage ich die nächste Person und erhalte die Antwort, dass dies Turku sei. Schnellstens eilen wir in die Kabine und stopfen alles in die Taschen. Plötzlich geht uns ein Licht auf: In Finnland wird ja die Uhr um eine Stunde vorgestellt!!
An der Bushaltestelle beobachtet uns eine Frau, schliesslich kommt sie auf uns zu und fragt, ob wir Schweizer wären. Da kommt der Bus, wir steigen ein, die Frau bezahlt für uns und lädt uns ein, zu ihr zu kommen, ihr Mann sei Deutscher und ihre Tochter, die in Hannover studiere, sei gerade zu Hause in den Ferien. Sie hätten ein Haus am Meer und eine Sauna und wir könnten ja morgen weiterreisen. "Sauna!" flüstere ich Esthi zu und wir beide schütteln uns... denn dies ist uns unbekannt. Hinter ein paar Tannen liegt ein herziges kleines Haus, umgeben von Blumen, Felsblöcken und Wiesen, davor das tiefblaue Wasser, spiegelglatt und ruhig, der Meeresarm ist hier nur einige Meter breit, denn wir befinden uns auf einer der vielen Inseln, vor der Küste von Turku.
Wir werden mit Tee und belegten Broten verwöhnt. Zwei Arbeiter, die den Keller aushoben, essen mit uns und vernehmen mit ehrfürchtigem Staunen von unserern Reiseplänen. "Jaja, die heutige Jugend.." meinen sie.
"Hannele" stellt sich die Tochter vor und streckt uns die Hand entgegen. Wir fragen uns gegenseitig etwas aus und vernehmen, dass uns demnächst ein Kollege mit einem Motorboot abholen komme. Zwischen den Inselchen herumpfurrend, sehen wir viele Ferienhäuser, neben jedem steht ein Saunahäuschen. "Wollt ihr nicht baden" fragt Hannele arglos. Doch uns scheint das Wasser - es ist immerhin September - kalt, und so sagten wir schnell, dass wir keine Badehosen dabei hätten. "Das braucht man hier nicht, es ist ja niemand hier." Nackt baden - entsetzte Gesichter unsererseits. Niemals! "Es gibt heute schon noch Gelegenheit", grinst Hannele vielsagend.
Später fahren wir mit einem Ruderboot zu einem Fischnetz hinaus, das von Hannele sorgfältig untersucht wird. Ein einsames Opfer zappelt später im Boot. "Den kriegt Papi zum Nachtessen." Ja, dieses Nachtessen!! Soviel haben wir schon lange nicht mehr gegessen, wir platzen fast. Ein Verdauungsmarsch über Wiesen und Weglein führt an wildwachsenden Apfelbäumen vorbei in den Wald, zu einem tiefen Brunnen mit Quellwasser. Keines der Ferienhäuschen hat fliessendes Wasser, wir füllen daher unsere Kessel und bringen sie ins Haus.
"Und nun zur Sauna" - o Schreck. Mit Handtuch und Toilettentäschchen laufen wir zum Hüttchen am Meer. "Es sieht so harmlos aus, doch drinnen ist die Hölle" flüstert Esthi mir zu. Die ungewöhnliche Hitze nimmt uns fast den Atem und der Schweiss strömt aus allen Poren, aber die Angst ist verschwunden. Es gefällt uns sogar. Hannele steht auf, drückt jedem von uns einen Bademantel in die Hand und läuft zum Meer hinunter. Und wir hinterher! Die Badehosenfrage ist kein Thema, und splitterfasernackt springen wir ins kalte Wasser. "Gehen wir nochmals in die Sauna", frage ich vorsichtig. "Wenn ihr wollt" lacht Hannele. Da habe ich eine Idee. Ich springe schnell hinauf zum Haus und hole den Fotoapparat. "Alles Unsittliche verdecken" rufe ich und schon ist die Saunaszene festgehalten. Hannele freut sich, auf so eine Idee sei jetzt wirklich noch nie jemand gekommen, schmunzelt sie.
Um 22 Uhr liegen wir auf einer riesengrossen Matratze im Dachstock. Es ist tiefe Ruhe und wir überdenken nochmals den schönen Tag. Durch die Dachlucke sehen wir die Sterne und ab und zu hören wir seltsame Schreie von unbekannten Tieren. "Wenn das so schön weitergeht, will ich gar nicht mehr heim", murmelt Esthi im Halbschlaf.
Anderntags sind wir genau um 12 Uhr in Helsinki und verabschieden uns dankbar von einem jungen Mann, der uns die Strecke Turku - Helsinki mitgenommen hat. "Soso, nach Hammerfest wollt ihr, da seid ihr aber spät dran." Doch wir denken an unsere warmen Strümpfe und Pullover und sind ganz optimistisch.
Die Verständigung mit den Einheimischen ist nicht einfach. Mit einem Bus wollen wir zur Stadt hinaus, Richtung Norden, schliesslich klappt es doch. Dort stehen wir dann und lassen den Daumen schnellen. Lastwagen, Busse, selten Privatautos, fahren vorbei, als wären wir Luft. Plötzlich hält einer, doch nach 20 Kilometer muss er abbeugen. Der nächste Wagen, der hält, ist voll mit Flaschen beladen. Doch der Fahrer deutet, dass eine von uns dort Platz nehmen muss, und ich klettere tapfer hinein. Es ist wie in einem Gefängnis, eng und dunkel.
"So, jetzt stoppe ich mal einen Lastwagen" ruft Esthi und schon hält einer an. Wir rennen und klettern in die Kabine. Nach Tampere sind es noch etwa 100 Km und wir beschränken unser sonst munteres Geplapper auf ein Minimum, um den Fahrer nicht aufzuregen. Herrlich ist es, da oben in der Kabine hat man eine herrliche Sicht in die schöne Landschaft. Viele malerische Gewässer versetzen uns in Hochstimmung. Bei einer Tankstelle erhalten wir noch ein Coca-Cola, das wir dankend annehmen, denn 'Studenten' haben ja kein Geld, und als Studenten werden wir überall angesehen.
In Tampere schreiben wir uns in der Jugendherberge ein und spazieren dann in der Stadt. Wir wundern uns über die vielen jungen Leute auf der Strasse. Man erklärte uns, dass das immer so sei. Plötzlich werden wir von zwei jungen Mädchen angesprochen. "Sie waren doch heute in der Jugendherberge, nicht wahr, was wollen sie denn heute Abend machen? - Kommen Sie doch zu uns, ich lade sie herzlich ein." So lernten wir Maija und Hilkka kennen. Später sitzen wir in einem gemütlichen Zimmer bei Kuchen und Kaffee. "Mein Freund, den ich in England kennenlernte, ist ein Schweizer, aus Bern" sagt Maija. Sie gibt uns die Adresse ihrer Eltern, deren Heim auf unserer Route liegt, uns sagt, das wir dort sehr willkommen seien, gleich morgen werde sie unsere Ankunft telefonisch anmelden. Im Stillen sind wir uns zwar einig, dass wir niemals hingehen würden - zu wildfremden Leuten.. Rovaniemi liegt ja weit weg, trösten wir uns. An der Türe der Jugendherberge müssen wir Strafe bezahlen, weil wir zu spät kommen....
Maija und Hilkka schwänzen - trotz unserem Protest - die Schule, um uns die Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt zu zeigen. Sie führen uns auf den 'höchsten Sandhügel Europas' und wir geniessen die herrliche Rundsicht von einem Turm aus: Viel Wasser und viel, viel Wald. Danach besuchen wir ein Freilufttheater mit drehbarer Bühne. "Die Universität müsst ihr unbedingt gesehen haben, es ist eine der Schönsten in Finnland." Schon von aussen bewundern wir das Gebäude und drinnen bestaunen wir den Luxus. Clubsessel aus Leder, überall Komfort. "Da möchte man am liebsten studieren" murmelt Esthi begeistert. Im Selbstbedienungsrestaurant essen wir inmitten der Studenten ein feines Mittagessen. In Finnland studieren etwa 50% aller Mädchen und Maija kann nicht begreifen, dass in der Schweiz nur die Allerbesten höhere Schulen besuchen. "Wir sind entweder zu dumm, zu arm oder zu faul" ist unsere Erklärung.
Unsere Weiterfahrt beginnt wieder mit einem Lastwagen. Der Personenverkehr hier im Norden ist dürftig. Nach 140 km erreichen wir Jyväskylä, der Name dieser Ortschaft hat uns einiges Zungenbrechen verursacht. Aber hier gefällt es uns nicht, wir werden kritisch gemustert, es ist wohl kein Touristenort. Kinder fordern von uns frech "Tabaki!" und strecken uns die offene Hand entgegen. Wir beschliessen die sofortige Weiterfahrt frühmorgens.
Und dann gehts stückchenweise weiter. Immer wieder stehen wir mitten im Wald und in uns brennt die Frage, ob wir wohl die nächste Nacht unter Tannen verbringen müssen. Selten kommt ein Auto vorbei, die meisten sind vollbeladen, andere geben Zeichen, dass sie bald abschwenken werden. Einmal fahren wir ein Stück mit einem Lastauto, dann im Gepäckraum eines Camions, einmal in der frischen Luft hinten auf dem Laderaum, zwischen Waldarbeitern und Oelkannen. Ein Fleck auf Esthis neuer Jacke will uns noch lange an diese lustige Fahrt erinnern.
Die Strasse zwischen Tampere und Kuopio ist auf der Landkarte mit einem dicken Strich bezeichnet, allerdings ist sie in Natura alles andere als eine Hauptverbindungsstrasse in unserem Sinn. Immer wieder Umleitungen, Strassen wie Feldwege, ungeteert, staubig, schmal, holperig, Berg- und Talfahrten, jedoch vorbei an unzähligen herrlichen Seelein. Oft kilometerlang kein Haus, nur Wald, Birken, Seen.
Ein alter Mann ärgert sich, weil wir ihn nicht verstehen, er schaut uns mit kleinen Schweinsäuglein böse an. Plötzlich sagt er voller Hass "Saksalainen" (Deutsche). Es nützt nichts, dass wir uns als Schweizer vorstellen. Er funkelt uns böse an, jeder Zoll zeigt Hass. Dieses Auto verlassen wir sehr gerne.
Wie wir da sorglos wieder einmal in einem Auto sitzen, erblicken wir plötzlich vorn an der Scheibe ein umgeklapptes Täfelchen mit der Aufschrift "Valaa" (oder ähnlich). "Du, wenn das ein Taxi ist!". sagt Esthi bang. Im Wörterbuch finden wir kein solches Wort. Da wir keine Ahnung haben, wie lange unsere Mitfahrt dauern wird, sehen wir uns schon den Garten des Fahrers umgraben, Wäsche waschen oder Holz spalten. Aber mit einem freundlichen "Näkemiin" öffnet uns der Fahrer später die Türe und entlässt uns lächelnd ins Freie.
In einem kleinen Dörfchen besuchen wir einen Laden. Offensichtlich werden wir als verrückt taxiert, denn offene Mäuler und misstrauische Augen begegnen uns. Wir kaufen eine Rolle Bisquits und sind froh, dass wir wieder weiter können.
Kuopio heisst das nächste Ziel. Es ist ein kleines, ärmliches Städtchen und auch dort liegen wir bald in der Klappe. Eine nette Frau führt uns frühmorgens auf die richtige Strasse zum Norden, weit aus der Stadt hinaus, und muss alles wieder zurücklaufen. Ein charmanter Forstmeister, der prima Englisch kann, nimmt uns mit. Flotte Musik begleitet unsere Fahrt, so dass wir einen Umweg über Kajaani riskieren.
Nicht gerade fidel ist hingegen die Fahrt mit zwei Männern "im besten Alter". Obwohl wir kein Wort verstehen, sprechen sie pausenlos auf uns ein. Mit der Karte in der Hand wollen sie uns überreden, mit ihnen nach Kuusamo zu fahren. Ihre Blicke sind uns unangenehm und bei einem Restaurant gelingt es uns, zu entschwinden.
Nass strömt der Regen vom Himmel, und wir stehen in Gottes freier Natur. Nach ein paar hundert Metern Fussmarsch entdecken wir ein rettendes Dach, mitten im Wald. Hier im hohen Norden stehen entlang der Strasse öfters kleine Hüttchen, Milchdepots für die Bauern tief im Wald drinnen. Gottlob ist es leer. Wir stellen erst unser Gepäck in das ca. 1qm kleine Häuschen, dann schlüpfen auch wir halb kauernd, ans Trockene. Schliesslich hören wir Motorenlärm: Ein Traktor mit einem offenen, mit Stroh beladenen Anhänger, hält an. Wir werden freundlich eingeladen, mitzufahren. Schweren Herzens schwingen wir uns aufs nasse Stroh und langsam sickert die Nässe durch unsere Hosenböden. Nach ein paar Kilometern ist der Spass gottlob zu Ende und eilig streben wir dem nächsten Milchhäuschen zu. Ein Lastwagen bringt uns tropfnasse Mäuse nach Oulu. Leider ist die Jugendherberge geschlossen, denn es ist ja September und die Zeit der Reisenden ist eigentlich vorüber. So beziehen wir nach einem längeren Fussmarsch in einem Touristenhotel ein Zimmer und nisten uns häuslich ein, denn wir haben im Sinn, zwei Nächte hier zu bleiben, da dies wieder einmal ein Ort der postlagernden Briefe ist, und der Kalender auf Samstagabend steht.
Im Café des Städtchens sind wir die Sensation. Ein paar Soldaten am Nebentisch, wohl aus den dunkelsten Wäldern von Finnland, starren uns an, und alles rätselt, welche Sprache wir sprechen. "Saksa" hören wir oft, doch um die Spannung zu steigern, sprechen wir zwischendurch französisch und amüsieren uns sehr über die Tatsache, soviel Aufsehen zu erregen. Nach dem Aufbruch, lachen wir uns draussen fast kaputt über die eigenartige Situation, doch plötzlich fühlen wir uns verfolgt. Und wirklich, zwei junge Männer, die uns besonders fixiert hatten, gingen uns nach. Am Himmel zieht uns plötzlich ein seltsamer Lichtstreifen in seinen Bann. Dies sei das Nordlicht, erklärt uns der Mutigere der beiden. Und dann gaben wir uns als Schweizerinnen zu erkennen, und in Englisch kommt ein kurzes Gespräch zustande. Aber der Wind bläst kalt übers Land und uns klappern die Zähne. Die ganze Nacht durch klappern dann auch sämtliche Fensterläden und Türen des Hotels, was nicht gerade schlaffördernd ist!
Da in Oulo gerade Jahrmarkt ist, müssen wir unser Zimmer wieder räumen, es ist bereits reserviert. Im feinen Hotel "Arina" fühlen wir uns mit Rucksack und Tramperkluft zwar etwas deplaziert. Aber unser Zimmer ist grossartig. Leider ist direkt darunter das Orchester plaziert, und das Schlagzeug behindert den Schlaf erheblich.
Auf der Post erhalten wir immerhin drei Briefe, einer davon ist von unserer 'Freundin' aus Tampere, mit einer nochmaligen Bekräftigung der Einladung bei ihren Eltern. Sie würden uns erwarten. Da können wir wohl kaum kneifen...
Oulus Geruch darf als stinkend bezeichnet werden. Der Bach, der durch das Zentrum fliesst, mieft gewaltig. Später erfahren wir, dass der "Duft" von einer Fischfabrik stammt, die ausserhalb der Ortschaft liegt.
Unser nächstes Tagesziel ist Rovaniemi. Ein Kerl wie ein Schrank lädt uns zur Mitfahrt ein, und wir geniessen die Fahrt und die schöne Begleitmusik. Das Landschaftsbild ist einzigartig. Es verändert sich, je nördlicher wir kommen. Links fliesst der Kemijoki, ein breiter, ruhiger Fluss, die Wälder werden niedriger, die Bäume und Tannen dünner, und karge Wiesen, mit Felsblöcken besäht, säumen die Strasse. Bei einem Café spendiert uns der Chauffeur einen Drink. Dann fahren wir schweigend weiter, begleitet von klassischer Musik, Volksliedern (sogar "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren"), auch französische, englische Melodien, leider in einer enormen Lautstärke, die unser Trommelfelle etwas strapaziert.
Mittags um 14 Uhr werden wir vom flotten Fahrer direkt an der Haustüre unserer Gastfamilie ausgeladen. Zaghaft steigen wir die Treppe zum ersten Stock hoch. "Wahlgrén" steht am Klingelknopf. Die Dame des Hauses nimmt uns freundlich in Empfang und heisst uns willkommen. In der Stube werden wir einem Damenkränzchen vorgestellt und genieren uns etwas über unsere Aufmachung. Schon dampft der Kaffee in unseren Tassen und leckerer Kuchen wird uns serviert. Kauend und schluckend beantworten wir alle Fragen. Es gab ja bisher nur zu rühmen in diesem Land. In Finnland fühlt man sich sofort zu Hause, ich möchte jemand sehen, der von diesen Menschen und dem Land nicht begeistert ist!
Es steht uns ein nettes Zimmer zur Verfügung und selbst baden dürfen wir und fühlen uns danach wie neu geboren.
Später bekommen wir ein wundervolles Essen serviert und dann werden uns Fotos von der Familie, von Rovaniemi und der Verwandtschaft gezeigt. Mit dem Auto werden wir in die Stadt chauffiert, wo uns der Sohn die Sehenswürdigkeiten zeigt und uns zu Heidelbeerkuchen einlädt. Rovaniemi ist eine moderne Stadt, nach dem 2. Weltkrieg, welcher 4/5 der Häuser zerstörte, wurde alles neu aufgebaut.
Fröhlich wandern wir heimzu, doch schon holt uns Papa Wahlgrén ab und lädt uns ins Auto ein. Bei dieser Gelegenheit erkundigen wir uns nach einer Busverbindung nach Hammerfest. Das Stoppen wird ja immer schwieriger und das Wetter ist auch nicht mehr freundlich.
Wenig später bekommen wir die Nachricht, dass wir mit einem Bekannten der Familie 200 Km weit mitfahren dürfen. Glück muss man haben! Frau Wahlgrén teilt uns mit, dass ihre Nachbarin sehr interessiert an uns sei, ob wir bei ihr Kaffee trinken möchten. Frau Vikmann ist Englischlehrerin, so heisst es nun, die besten Kenntnisse hervorzuholen. Die Dame ist eine vollendete Lady und das Haus ist äusserst stilvoll eingerichtet. Es erscheint ein Sohn, dann noch einer. Die Burschen setzen sich still in eine Ecke und hören unserer Konversation zu. Wir sind etwas befangen, aber mit der Zeit finden wir es lustig, wie wir ausgequetscht werden. Die belegten Brötchen schmecken herrlich, der selbstgebackene Kuchen auch. Esthi hat etwas Mühe, den Zucker mit der Zuckerzange aus der Schale zu fischen, denn der Zucker ist fast dicker als der Zwischenraum der beiden Fangarme. Doch der gute Junge mit der Zuckerschale hält geduldig aus und Esthi fischt und fischt.
"Kam, sah und siegte", ist Esthis Kommentar zu unserem Rovaniemi-Aufenthalt. Im Zimmer steht ein Blumenstrauss auf dem Tisch und ein Krug mit herrlichem Sirup, frische Handtücher und zwei bequeme Betten - Herz was willst du mehr. Dann noch die Aufforderung, so lange zu liegen, wie wir wollten. Wir fühlten uns paradiesisch. Beim Einschlafen nehme ich mir vor, künftige Gäste ebenso zu verwöhnen.
Mit Papa Wahlgrén dürfen wir nach dem Frühstück in die Stadt fahren. Wir schlendern durch die Strassen und beäugen die Schaufenster. In Rovaniemi werden die berühmten finnischen Dolche hergestellt, doch wir haben solche schon in Helsinki erstanden. Hier sind sie nicht etwas günstiger, nein, im Gegenteil. Trotzdem erstehen wir nochmals ein paar als Souvenirs. Esthi erfreut sich an einer Lappenkappe, wobei sie allerdings zu spät entdeckt, dass sie eine für Männer erwischt hat.
Nach dem Mittagessen kommt der Abschied. Herr Wahlgrén hat uns freundlicherweise noch extra ein Certifikat ausstellen lassen, worauf bestätigt ist, dass wir den Polarkreis überschritten haben, was zwar noch vor uns liegt. Auch ein Büchlein von Rovaniemi erhalten wir. Die Mutter steckt uns ein Paket mit Brot, Käse und Karotten zu. Vasa, der Sohn, benützt seine Pause, um aus der Schule schnell abzuzischen und uns adiö zu sagen.
Frau Vikmann flüstert uns zu, dass unser Fahrer englisch könne, sie selbst habe ihn gelehrt. Doch der gute Mann ist äusserst schweigsam. Beim Polarkreis hält er an und fordert uns auf, das Ereignis zu fotografieren. Ein Ereignis ist es sicherlich, denn als wir die Bescheinigung erhielten, drückte man uns die Hand und wünschte uns Glück. Vielleicht wegen der Bären und Wölfe, die es in diesen Wäldern noch gibt...!?
Jetzt sind wir in Lappland, dem Land der bunten Trachten und Rentiere. Aber wo sind letztere? Wir spähen aufmerksam herum. Plötzlich halten wir an und Esthi schreit: "Dort - dort hat es Rentiere." Stolz und neugierig stehen sie am Strassenrand, zwei grosse, schöne Rentiere, mit ganz anständigem Geweih, starr und unbeweglich. "Klick" macht meine Kamera, und wir fahren weiter. Später sehen wir nochmals drei Ren. Aber Lappen, solche in Tracht, sind anscheinend ebenso rar, wie Schweizer in Landestrachten.
Karger Boden, flechten- und moosbewachsene, magere Tännchen, Birken, dann und wann ein munteres Bächlein. Vereinzelte Häuser aus Holz, weisse, schwarze und dunkelbraune Kühe. Hie und da ein Pferd, an einem Pfahl angebunden, aber keine Rentierherden. "Kommt alles noch" trösten wir uns gegenseitig. "Hast Du übrigens bemerkt, dass die hiesigen Kühe keine Hörner haben?" frage ich Esthi. "Scheint hier nicht Mode zu sein" erklärt sie mir.
Schon sind die 200 Km gefahren und wir stehen vor unserem Ziel, einem grossen Gasthaus, das unser vorgesehenes Nachtlokal ist. Wir laden unser Gepäck aus und bedanken uns herzlich. In der Wirtschaft trinken wir Kaffee und schreiben Karten, eine sehr teure Angelegenheit in Finnland, aber man will ja später keine Vorwürfe erhalten.
Dann streichen wir im Wald neben dem Haus herum, jeder Schritt federt, und es ist, als wandle man auf einer dicken Schaumgummimatte. Plötzlich ein naher Schuss, da kehren wir um, nicht, dass man uns mit einem Elch verwechselt.
An der Strasse wartet ein Tramper auf Mitfahrgelegenheit. Wir plaudern fünf Minuten mit dem deutschen Burschen, da hält ein Auto - und weg ist er.
Abends beim Nachtessen sind wir wieder die Exoten. Die Gäste verändern teilweise ihre Sitzlage, um uns besser anstarren zu können. Hier im hohen Norden ist im September die Zeit der Touristen vorbei. Niemand ausser uns spricht auch nur ein Wort, alles lauscht gebannt unseren Worten, jede Bewegung wird registriert. Es ist recht unangenehm und bald ziehen wir uns ins rettende Gemach zurück. Dort gibts einen grossen Ofen, auch genügend Holz, aber kein Feuer. Mit mühsam zusammengerafften Papierabfällen bringe ich das Holz zum Brennen, aber die Folge davon ist ein grauenhafter Qualm. Gottlob hilft uns die Serviertochter hustend aus der Klemme.
Am Morgen weckt uns ein gleichmässiges Rauschen, wirklich - es regnet. Dabei war es gestern so schön. Unter dem Vordach des Hauses warten wir anderthalb Stunden, doch nur ein einziges Auto fährt - vollbesetzt - in die gewünschte Richtung. Im Restaurant fragen wir nach einem Postauto, in einer Stunde kommt eins. An der Bar holen wir einen Kaffee und warten. Da hält ein Bus vor der Türe, der kommt vom Norden her. "Grüezi" sagt jemand und vier junge Männer treten ein. "Grüezi" erwidern wir erstaunt lachend. Grinsend kommen sie auf uns zu und setzen sich zu uns. Sie haben eine Viertelstunde Aufenthalt und wir geniessen die Plauderei mit ihnen, zwei von ihnen sind Deutsche, einer kommt aus Bern, der vierte aus Zürich. Der Berliner, mit dem wir gestern am Strassenrand ein paar Worte wechselte, habe sie orientiert, dass hier zwei Schweizerinnen seien. Es sei übrigens sehr kalt im Norden und in Trondheim hätte es sogar geschneit letzte Woche. "Und wenn mich ein Auto hinauf und wieder zurückführen würde, ich ginge nicht mehr, schon die Erinnerung lässt mich schlottern" erklärte der Berner. Nun, zum Frieren muss man nicht weit, die Gaststube ist eiskalt, obwohl es in Finnland sicher genügend Holz zum Feuern gibt und zwei Riesenöfen im Lokal stehen...
Das Postausto fährt weiter und wir sind wieder allein mit den stummen Männern, die ausdruckslos vor dem Glase sitzen. Draussen regnet es immer noch und der Himmel ist grau und dunkel. 12 Uhr - wo ist das versprochene Postauto? Endlich, mit etwas Verspätung können wir einsteigen.
Der Bus ist sehr komfortabel, doch dies ist nötig, denn die Strasse ist holperig und die Fahrten sind weit. Vorn neben dem Chauffeur sitzt der Kondukteur, der nebst dem Billetausgeben noch eine besondere Aufgabe hat: Er rollt die vor ihm liegenden Zeitungen und Briefe bündelweise zusammen und bindet ein Schnur herum. Wenn an der Strasse ein "Postkasten" in Sicht ist, verlangsamt der Fahrer die Fahrt und der Kondi öffnet die Türe und wirft in geschicktem Schwung das Bündel in den Bretterverschlag. Jedesmal beobachten wir staunend, dass es nur Treffer gibt.
Eine zweistündige Fahrt über Hügel und Wälder, bergauf, bergab, und wir sind in Ivalo. Es ist ein kleines Dörfchen aus lauter Holzhäusern, mit Riesenpfützen auf Strassen und Plätzen, sonst nichts. In der Keskus-Baari warten wir auf den Bus, der uns nach Inari bringt. Am Tisch nebenan sitzen zwei junge Männer und gerade höre ich einen sagen "may be swiss". Ich gehe an die Musikbox und bald singt der Freddy "Junge, komm bald wieder".
Nun ist unser Bus angekommen und beim Hinausgehen entdecken die Burschen unser Schweizerfähnli. Der eine von ihnen ist Australier, der ein Jahr in der Schweiz war, der andere ein Finne, der prima Englisch kann. "Das isch doch en Saich" sagt plötzlich der Amerikaner, was uns natürlich in Gelächter versetzt. In Inari sagt er "uf Wiederluege", denn er wird bei seinem finnischen Kollegen wohnen.
Weil es wirklich kalt ist, wollen wir so schnell als möglich die Jugendherberge finden, doch eine solche gibt es weit und breit nicht. An einem Haus steht gross "Zimmer für Reisende", gottlob können wir deutsch. Das uns zugewiesene Zimmer weist beim Betreten wohlige Wärme auf. Im Raum nebenan liegt auf dem Bett ein junger Bursche, die Türe ist geöffnet. Ich frage ihn, ob man irgendwo etwas zu essen bekommen könne. Er kommt aus Deutschland und erzählt, dass er ebenfalls von dem Berliner unterrichtet wurde, dass zwei Schweizerinnen im Anmarsch seien. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir dann noch, dass die Jugendherberge zwei Häuser weiter vorne liege, aber sehr kalt und ungeheizt sei.
Die Aussicht vom Zimmer ist einmalig. Inzwischen ist das Wetter prächtig geworden. Ein tiefblauer See liegt vor uns, doch der Hunger treibt uns aus dem Haus. In der Dorfbeiz schliessen sich die Ausländer zusammen und wir haben ein paar nette Plauderstündchen, und weil das Beizli um 22 Uhr schliesst, setzen wir die Unterhaltung im Gasthaus fort. Unter der dünnen Wolldecke können wir uns kaum erwärmen, jaja, wir sind im hohen Norden.
Dunkler Himmel, teilweise Regen, der einzige Bus nach Hammerfest sei um 7.15 Uhr abgefahren, vernehmen wir. Nun, Inari ist sehr schön, bleiben wir halt noch einen Tag. Wir dürfen das warme Zimmer der Burschen benützen und lesen, schreiben, sitzen, plaudern. Um 14 Uhr gehen wir ins Restaurant und verlangen die Speisekarte. Leider können wir nicht finnisch, wir wählen etwas in mittlerer Preislage und lassen uns überraschen. Es sind Fleischküchlein und Kartoffeln mit einem Restchen kalten Reis. Gar nicht schlecht.
Die nächste Nacht schlafen wir Frauen im warmen Zimmer und die Jungens, die gerne die Fenster geöffnet haben, benützen unseren kalten Raum. Dummerweise verpassen wir das Postauto nochmals, und wir probieren es mit Stoppen. Ausserhalb des Dorfes sitzen wir auf einer Mauer und versuchen unser Glück. In vier Stunden fuhr ein einziges Auto vorbei. Jetzt haben wir genug. Die ganzen vier Stunden wartete Dieter, einer der beiden Gäste, geduldig mit uns. Eigentlich wollte er eine rote Birke suchen zum Fotografieren, allein er kommt nicht dazu. Frierend gehen wir zurück und sogleich ins Restaurant. Mit einem heissen, dicken Kakao wollen wir uns erwärmen und mich lockt ein besonders langes Wort auf der Speisekarte. Mit dem Wörterbuch finden wir heraus, dass der Schluss Kompott heisst. Es entpuppt sich dann zwar als Eiscrème, was bei diesen Temperaturen nicht gerade das Richtige ist.
Die Musikbox stöhnt und kratzt erbärmlich und die einzige Abwechslung ist ein junges, blondes Vamp mit Schmollmündchen, welches sämtliche Männer im ganzen Umkreis fixiert, was den Einheimischen grossen Eindruck macht, wie es scheint.
Endlich sitzen wir dann doch frühmorgens im Postauto, draussen winkt uns Dieter adiö. Heute wird er bestimmt zu seiner roten Birke kommen.
Unterwegs steigen ein paar Lappen in Tracht ein und werden von uns unauffällig gemustert, Esthi denkt an ihre Mütze. Wieder geht die Fahrt durch viele Wälder. Ausser Tannen und Bäumen gibts nichts zu sehen. Einmal fahren wir an einer Lappensiedlung vorbei, unsere Lappen steigen aus. Auch von der Gegenseite kamen Autos, sogar Taxis angefahren, wir vernehmen, dass hier ein Markt stattfindet. In der Ferne sehen wir Rentierfelle aufgehängt und unser Herz schlägt schneller, ein solches möchten wir als Andenken kaufen, allein der Bus fährt weiter.
In Karigasniemi steigt alles aus, nur wir bleiben, wir wollen ja noch weiter. Ein zahnloser Mann versucht uns zum Aussteigen zu bewegen, allein wir bleiben und wie der Bus dann wendet, sind wir starr. Es steht doch hier nur ein einziges Haus, da stimmt doch etwas nicht! Doch wieder kommen wir nach Karigasniemi und jetzt geht uns ein Licht auf. Der Zahnlose wollte uns wohl zum Warten auffordern. Nun steigen viele Lappen zu und die Luft wird dicker. Vor einem Haus liegt ein Stück Schlachtvieh am Boden, ein Lappe schlägt mit einem Beil ein Bein davon ab und steckt es in einen Sack, den er dann direkt vor unseren Nasen plaziert. Ein Geschmäcklein, hmmm!!
Wir rollen über die Grenze und sind in Norwegen. In Karasjok, der Endstation, steigen wir aus. Vier Stunden müssen wir auf die Weiterfahrt warten. Wir schlendern im Dorf herum, auf der Suche nach Rentierfellen, aber wir finden nur solche, die zwar günstig, aber zuwenig schön sind, um unsere heimischen Gemächer zu zieren. Auch ein paar dürftig bezackte Geweihe sind zu haben. Zwei Lappenfrauen kommen des Wegs daher und ich zücke meinen Fotoapparat. Da streckt eine der beiden ihre Hand vor: "Penge" fordert sie. Da Norwegisch dem Dänischen ähnlich ist, wissen wir, dass damit Geld gemeint ist. "Ingen Penge" (kein Geld) entgegne ich und lasse die Frauen und das Fotografieren sein. Ich denke, es gebe ja noch mehr Trachtenfrauen im Land.
Gerade rechtzeitig fällt uns ein, dass die Uhren auf norwegischem Boden wieder zurückgestellt werden müssen. In einem Restaurant analysierten wir die Lappen. Sie sind klein, braun, mit leicht schräg gestellten Augen, schwarzem Haar, abstehenden Ohren, ordentlich grossen Nasen, Spitze leicht nach oben gebogen, ziemlich faulen Zähnen und wackelndem Gang.
Und nun kletterten wir in unseren Bus, unserem Endziel - Hammerfest - entgegen. Je weiter wir in den Norden kommen, desto kälter wird es, eine alte Tatsache! Unterwegs steigen Soldaten zu, immer mehr und mehr. Schon ist der Bus gestopft voll, doch draussen stehen noch etliche andere. Alle müssen rein! Eine Mosterei ohnegleichen entsteht. Vor uns, hinter uns, neben uns - überall Soldaten. Alle Sitze haben Kopfstützen, nur derjenige Sitz vor mir nicht. Ich halte mich krampfhaft an der Lehne vor mir fest, denn es rüttelt bedenklich. Plötzlich legt mein Vordermann seinen Kopf zurück und reibt ihn lange und wohlig auf meinen Händen. Nach der ersten Verblüffung bekommen Esthi und ich einen grauenhaften Lachkrampf, wir können uns kaum mehr erholen, immer wieder gluckst es in uns auf. Einige Soldaten lachen mit uns, die Stimmung ist nicht schlecht...
Um 19 Uhr ist schon stockdunkle Nacht, der Wind heult erbärmlich, und in Hammerfest prasselt der Regen nieder. Der Buschauffeur zeigt uns das Grandhotel, und was wollen wir bei dem Wetter weiter suchen. Wir haben Glück, ein einziges Zimmer ist noch frei, und es ist das einzige Hotel weit und breit. Es ist nicht gerade billig, und am andern Morgen beschliessen wir, schnellstens eine andere Unterkunft zu suchen. Die Aussicht aufs Meer ist zwar einzigartig, doch der Blick auf die langsam anrollende Ebbe im Portemonnaie stimmt uns nachdenklich.
Hammerfest - es regnet noch immer. Wasserdicht verpackt gehen wir auf die Zimmersuche. Am Verhungern sind wir auch! In einem Souvenirladen erstehen wir Massen von Karten für unsere Lieben. Beiläufig frage ich nach einer Pension und prompt erhalten wir ein Angebot. Der Preis ist günstig und weil der Sohn der Familie Taxifahrer ist und zufällig gerade hereinschaut, werden wir gratis zu unserem neuen Logis gefahren. Wir laden unser Gepäck ab und kehren sofort wieder ins Zentrum, um unsern Hunger zu stillen. Nach langem Suchen finden wir endlich ein Restaurant, leider kalt und unfreundlich, und ohne grosse Freude verzehren wir die trockenen Wurstbrote, denn etwas anderes gibt es nicht.
Trotz des Regens will Esthi den nahen Berg besteigen, es handelt sich um einen baumlosen, mit Gras bewachsenen Hügel hinter den kleinen, farbigen Häusern der Stadt. Ich selber bin zu faul und mehr fürs Trockene. Es scheint mir eine Ewigkeit zu verstreichen, bis sie wieder zurück ist. Ich male mir die grössten Schauergeschichten aus, doch dann erscheint sie, zufrieden mit sich und der Welt. Entgegen meiner Vermutung hat sie das Haus prima gefunden, und steif vor Kälte ist sie auch nicht. Riesenvögel, schwarz wie die Nacht, seien da oben gewesen, berichtet sie, es sei zum Fürchten gewesen, der Krimi "Die Vögel" sei ihr in den Sinn gekommen, allein es habe sie keiner gepickt.
Am Abend schlendern wir durch die nördlichste Stadt von Europa. Tausend Lichter spiegeln sich im Wasser, es ist romantisch. Leider ist die Luft nicht überall angenehm, teilweise riecht es nicht nach Veilchen - vermutlich wieder eine Fischfabrik.
Anderntags verlassen wir unser Reiseziel, das im Regen und bei Kälte nicht hält, was wir uns vorgestellt haben. Um halb zwei Uhr fährt das Schiff weg. Wie Spielzeughäuser auf einem Sandhaufen kommt uns vom Schiff aus Hammerfest vor. Die Möven schwirren um unsere Köpfe, die Leute winken und doch nehmen wir ganz ohne Wehmut Abschied. Zehn Stunden Schifffahrt stehen uns bevor, und Esthi schluckt ihre Tabletten gegen Seekrankheit. Zuversichtlich hoffen wir auf hohen Wellengang - damit es etwas zu erzählen gibt. Der Wind weht wirklich unerhört, aber noch fährt das Schiff äusserst ruhig. Ein paar Burschen gegenüber stellen ein Grammophon auf und schon ertönt flotte Musik. Auf den verschiedenen Sofas lagern die Leute und manche schlafen (oder tun so, als ob). Ein Tourist sitzt stumm und unbeteiligt da, dem Aussehen nach vermutlich ein Amerikaner.
Doch da beginnt es zu schaukeln, immer mehr und mehr. Der Grammo geht nicht mehr, die Nadel hüpft auf der Platte. Ein Mädchen mit Kessel und Schrupper kommt aufs Deck. Doch da es noch nichts Handfestes aufzuputzen gibt, wäscht sie verzweifelt das Deck auf. Zuvorkommend hebe ich vor dem Schrupper meine Beine, und alle andern tun mir nach.
Auf und nieder, auf und nieder, auf und nieder. Es wiegt uns beängstigend. Arme Esthi, sie liegt bleich auf dem Sofa und kämpft gegen das Schlechtwerden. Am Reeling draussen füttern bereits die Ersten die Möven, andere lehnen bleich an der Wand. Die angebundenen Stühle schlittern herum, die Gläser rutschen auf den Tischen, ich aber marschiere fröhlich herum, denn mir macht das alles nichts aus.
Mit der Zeit gab es ein Zusammengehörigkeitsgefühl und dabei werden auch Bekanntschaften geschlossen. Gunnar, ein grosser blonder Junge, kommt zu uns herüber. Die grosse Langeweile ist vorbei. Er verspricht, uns in Tromsö zu einer günstigen Unterkunft, der Jugendherberge, zu führen. Und da wir um Mitternacht ankommen, sind wir darüber sehr froh. Auch der vermeintliche Amerikaner taut langsam auf, und siehe da, er ist aus Boston, und er friert auch wie wir. Er möchte gerne in die Schweiz reisen und eine Zeit lang dort bleiben, um als Skilehrer viel Zubehör einzukaufen für die USA. Er erzählt uns aus seiner Heimat und schenkt uns zum Abschied silberne Dollars zum Andenken.
Gunnar bringt uns zur Herberge, und - obwohl es 10 Minuten nach Mitternacht ist - werden wir noch hereingelassen.
In einem Raum, wo noch viele andere sitzen, füllen wir die erforderlichen Formulare aus und bezahlen gelassen die Strafe für das Zuspätkommen. Unser Zimmer ist noch leer und wir fragen uns, wann wohl unsere Mitbewohnerinnen kommen werden. Zwei Stunden später kommen sie herein, reden und lachen laut, rauchen, und eine nimmt gar noch ein Buch ins Bett. Wir sind recht sauer, tun aber, als schlafen wir. Endlich wird um 3 Uhr das Licht gelöscht. Um 6 Uhr rasselt ein Wecker, lange und ausgiebig, dann herrscht wieder Ruhe. Um 9.30 Uhr sind wir reisebereit und verlassen diese ungastliche Stätte. Wieder einmal regnet es, und wir fahren per Bus weiter. Wir haben nicht einmal mehr Zeit zum Geld wechseln, und nur mit Mühe bringen wir das Fahrgeld zusammen. Es bleibt uns noch eine einzige Krone übrig.
Diese Fahrt nun übertrifft alle bisherigen in Sachen Holpern. Es ist eine erstklassige Schüttelmassage. Finnlands Strassen liessen zu wünschen übrig, aber die Hauptstrasse Tromsö-Narvik ist das Schlimmste, was wir auf dieser Reise je erlebt haben. Glitschige Kurven, Löcher, Löcher, Bodenwellen, provisorische Brücklein über reissende Bäche, uns tritt der Angstschweiss auf die Stirn. Eine Frau, die unsern Schrecken bemerkt, schenkt beiden von uns eine saftige Birne.
Nun geht es über einen Pass und in jeder Kurve steigt mir die Angst hoch. Plötzlich halten wir vor einem See. Was nun? Wir müssen aussteigen und der Bus fährt auf eine Fähre, wir gehen ebenfalls. Unten drin ist eine Gaststube, doch mit nur einer Krone bleiben wir lieber an der frischen Luft. Endlich ohne Angstgefühle können wir die schöne Natur vom sicheren Deck aus betrachten. Später gehts wieder auf die Strasse, dann nochmals übers Wasser und am Abend laufen wir mit einer Fähre Narvik an. Wir sind entzückt von diesem Ort, seiner Lage, seinen Häusern. Etwa 16'000 Menschen leben da, im einzigen eisfreien Hafen von Norwegen. Fast die ganze Stadt ist vom Meer umspült. Im Hotelverzeichnis finden wir ein Hotel Breidablik, Doppelzimmer von Kr. 20 - 22.- "Haben Sie noch ein Doppelzimmer für Kr. 20.-?" Nein, leider ist nur noch eins für 26.- frei. So geht es überall, man wird mit günstigen Preisen angelockt und muss dann mehr bezahlen.
Die Aussicht vom 4. Stock des Hotels, das auf einem Hügel steht, ist einmalig. Wir sehen über die ganze Stadt sehen und auf drei Seiten aufs Meer hinaus. Auch im Zimmer hat es Wasser, und Wasser ist bekanntlich zum Waschen da, fallieri und fallera. Nach einer halben Stunde hängt die Zentralheizung voller Wäsche, Esthi hat geduscht, ich habe ein Bad genommen. Auch die Haare kamen wieder einmal dran. Und jetzt ab und ins Bett.
Auf der Hauptpost fragten wir nach Briefen und freudig nehme ich einen von meinem Brieffreund entgegen. Gutgelaunt spazieren wir zum Bahnhof und erstehen die Billete Narvik-Trondheim. Der einzige Zug von Narvik aus fährt jedoch nach Schweden und wir müssen zuerst mit dem Postauto weiter. Gut, dann sieht man auch etwas vom Land. Zum Glück erwischen wir zwei Plätze vorne und können die Aussicht geniessen, und zwar 8 Stunden lang. Unterwegs haben wir eine Stunde Aufenthalt. Dann fahren wir mit dem Zug weiter. Es ist 19 Uhr, die Betten in unserem Coupé sind bereit, wir haben fliessend kalt und warm Wasser, Seife und Handtücher liegen bereit, und selbst ein Nachthafen mit Direktabflussloch aus dem Zug ist vorhanden. Es lebe der Luxus!
Im Nachbarscoupé sind zwei Burschen, die mit unserem Bus aus Narvik kamen und mit denen wir schon auf der Fähre geplaudert haben. Nun stehen wir alle draussen im Korridor und setzen die Plauderei fort. Da das Reisen müde macht, wir aber noch nicht ins Bett wollen, weil wir ohnehin kaum schlafen können, gehen wir in den Salonwagen. Kjell, einer der beiden, füttert uns mit Trauben und Mutters selbstgebackenen Milch-Kartoffel-Herzform-Kuchen. Um 22 Uhr verziehen wir uns in unsere Betten. Im dritten Bett schläft eine dicke Frau mit sanftem Schnarchen. Dies, und viel Gerüttel und Vibrationen, besonders in den vielen Tunnels, halten uns wach. Das Bett wäre zwar bequem, vermutlich bin ich doch noch eingenickt, denn plötzlich weckt mich Esthi und ich realisiere, dass ich soeben von einem Bett träumte.
"Erika" - "Erika, wann sollen wir in Trondheim ankommen?" Der Zug rasselt durch die Landschaft und eine halbe Stunde später kommt uns der Kondukteur wecken, es ist sieben Uhr früh, und es regnet. Was sollen wir bei diesem Wetter einen ganzen Tag lang in Trondheim? Es ist eine recht grosse Stadt und unter Kjells Führung besichtigen wir immerhin einen Teil davon. Und dann kaufen wir unsern Fahrschein nach Oslo.
Die Landschaft ist nun ähnlich dem Appenzellerland, auch die Häuser, scheint uns. Nur die Leute sind länger. Und nun erscheint noch die Sonne, und auf einigen Bergen liegt schon Schnee. Unser Beschützer hat seinen Sitzplatz in einem andern Wagen (die Plätze sind numeriert), doch er kommt zu uns, Numerierung hin oder her. Kjell spricht sehr gut Amerikanisch, denn er war ein paar Jahre Matrose und hat die halbe Welt bereist. Obgleich wir nie steil hinauf fahren, sind wir plötzlich auf 1027 Meter über Meer. Die Gegend ist eher trostlos, und es schneit sogar ein bisschen, doch der Zug ist schön geheizt.
Oslo: Vor dem Hotelnachweisschalter stehen viele Leute, unser einheimischer Mitfahrer bringt uns daher zu einem ihm bekannten kleinen Hotel. Es ist wohl etwas düster, liegt aber in der Nähe des Bahnhofs, was uns wichtig ist. Dann zeigt er uns das Königsschloss, den Hafen und sonst noch allerlei. Am besten gefällt mir das Rathaus, überhaupt Oslo ist schön, besonders bei Nacht, im Lichterglanz der Reklamen.
Mit vielen guten Ermahnungen und Warnungen vor zweifelhaften Geschöpfen nimmt Kjell mit leicht traurigem Gesicht von uns, nach immerhin 36stündigem Zusammensein, Abschied.
Eigentlich hatten wir im Sinn, nach Bergen zu fahren, allein ein Zug fährt erst am nächsten Abend, und so lange wollen wir nicht warten, also fahren wir weiter. Unser Tagesziel ist Arendal. In der Dominobar genehmigen wir uns zum Abschied noch zwei belegte Brote und gehen dann zum Hotel, um das Gepäck zu holen. An der Reception erhalten wir einen Brief. Von wem denn einen Brief? Ausser Kjell kennt uns kein Mensch, und das ist nicht seine Schrift. Auf dem Umschlag stehen deutlich unsere beiden Namen mit dem Zusatz "aus Winterthur". Wir staunen, öffnen den Umschlag und schütteln den Kopf. Der Text des Briefes lautet folgendermassen:
"Gnädige Frl, Ich möchte sie bitten, heute um 15 Uhr 30 Minuten zur Domino Bar zu kommen. Sie erkennen mich mit Bart und Abzeichen der deutschen JV-Polizei am Hemd oder Jackett. Es handelt sich um eine Angelegenheit aus der Schweiz, wo ich meine Verfolgung aufnahm. Sie sind in Skandinavien am 13.9. angekommen und in Norwegen am 20.9. Zuletzt waren sie in Narvi). Fühlen Sie sich nicht beunruhigt, es ist nur eine nichtssagende Angelegenheit. H. Wieseck"
Da stimmt doch was nicht. Der Schreiber spinnt ja, er schreibt, er verfolge uns seit langem... Verfolgen, gaahts na! Das ist ja lächerlich. Unser Zug fährt in einer Stunde und wir haben keine Gelegenheit mehr zum Überlegen. Wir fragen den Portier, aber der weiss anscheinend von nichts. Unsere Reaktion folgt auf dem Fusse: Schreibpapier, Kugel-schreiber und Briefumschlag her.
"Gnädiger Herr
Infolge frühzeitiger Abreise sind wir nicht in der Lage, Ihrer "Einladung" Folge zu leisten. Ihr Brief ist ein guter Witz, von Verfolgung kann keine Rede sein, zumal wir nicht seit 13.9., sondern 13. März in Skandinavien sind. Jedermann kann Namen und Daten aus der Hotelkartei beziehen. Falls Sie uns nicht vergessen können, geben wir Ihnen zu allfälliger weiterer Verfolgung einen Tip: Wir fahren nach Kristianssund und dann durch Dänemark "back to Switzerland".
PS.: Das war ein plumper Annäherungsversuch! Sie können uns auch schreiben: Postlagernd Flensburg."
Obwohl wir einem Hauch von Abenteuer keineswegs abgeneigt sind, bleiben wir eines dummen Scherzes wegen nicht länger in Oslo. Auf dem Weg zum Bahnhof halten wir Ausschau nach bärtigen Männern, begegnen tatsächlich einem jungen Mann, der uns schon gestern aufgefallen ist. War's der? Die Sache wird ewig ungeklärt bleiben.
Fast kommen wir zu spät, eine Minute vor Abfahrt haben wir das Billet in der Hand und krampfhaft suchen wir den rechten Zug. Geschafft. Drinnen ist praktisch alles besetzt, halt, da sind noch zwei Plätze frei. Mit schalkhaftem Lächeln begrüsst uns der neue Platznachbar. War der nicht heute auch in unserem Hotel? Neben mir duftet ein älterer Mann verräterisch nach Alkohol. Er fragt uns woher und wohin und zwischendurch geht er hinaus, um einen kräftigen Schluck zu nehmen. Zeitweise schläft er. Ziemlich angeheitert fühlt er sich verpflichtet, uns ans rechte Ort zu bringen.
Gottlob sagt uns der Kondukteur rechtzeitig Bescheid, wir steigen aus. Und dann gehts mit einem kleinen Züglein weiter. Kaum sitzen wir ab, kommt der Säufer angewankt und setzt sich freudig zu den "two swiss girls". Der Gute will uns unbedingt zu sich nach Hause einladen, er sei jeweils auch in fremden Ländern froh, wenn ihm jemand helfe. Dann nickt er wieder ein, und wir benützen die Gelegenheit, zu verschwinden. Wie er unseren Abgang bemerkt, erzählt er laut unsere Story. "Die beiden Schweizerinnen waren in Hammerfest, stellt Euch vor, in Hammerfest, jaja." Nun weiss der ganze Zug unsere Geschichte.
In Arendal sind wir die ersten, die aussteigen und hinter dem kleinen Bahnhöflein verstecken wir uns , bis der alte Saufkerl aus dem Blickfeld entschwunden ist.
Mühelos finden wir ein Hotel, das günstig ist, etwa die Hälfte des Preises im Grandhotel von Hammerfest. Herrliches Wetter und ein reichliches Frühstücksbuffet stimmten uns am andern Morgen fröhlich. Auf dem Markt kaufen wir Aepfel ein, etwas, was wir uns lange nicht genehmigten, ganz kleine "Grünggel" zwar, aber immerhin Aepfel. Arendal gefällt uns, es ist ein sauberes, hübsches Städtchen, mit schneeweissen Häusern bis weit in den Hügel hinauf und es wirkt direkt sonntäglich nach all den bisherigen bunten Norweger-Orten.
Das erste Mal in Norwegen halten wir wieder einmal ein Auto an. Schon der erste Wagen stoppt. Schreckensbleich steigen wir später wieder aus. "Der letzte Autofahrer" ruft Esthi erregt aus. Ja, das Autostoppen hat so seine Gefahren, man weiss nie, mit welcher Art Fahrer man es zu tun bekommt.
"Glück hat man zwar beim Anhalten in Norwegen, doch es sind ja furchtbare Fahrer. In unsern ganzen 7 Monaten Skandinavien sahen wir kein einziges Unglück, und hier in Norwegen gleich zwei an einem Tag." Das war eine tiefsinnige Bemerkung.
O Schreck, o Schmerz, das Schiff nach Hirtshals, Dänemark, fährt erst um 2 Uhr nachts ab und das dauert noch 13 Stunden. Obwohl das Wetter schön ist, graut uns vor der langen Wartezeit. Wir haben jetzt Stalldrang und möchten so schnell als möglich weiter. Unsere Reise besteht sowieso nur noch aus Warten. Warten auf Autos, auf die Oeffnungszeiten der Postämter, auf die Autobusse, auf Zugsabfahrten, auf besseres Wetter.
Beim Herumschlendern entdecken wir in der Höhe hinter der Stadt sanfte, runde Felsen, Wäldchen, Gras. Die Romantik winkt. Dort hinauf klettern wir nun und sind entzückt von der Gegend, der Aussicht und der Ruhe. Lange Zeit sitzen wir auf dem Felsen und lesen. Erst am kühlen Abend gehen wir langsam zur Stadt zurück. Diesmal benützen wird den Weg und gelangen so durch ein äusserst hübsches Wäldchen, vorbei an Weihern, Birken und Felsen.
Ab 22 Uhr darf man aufs Schiff, bis dahin vertreiben wir uns die Zeit in einem Café. Dann holen wir unser Gepäck in der Aufbewahrung und lösen die Fahrkarte. Vor uns am Schalter stehen ein paar Schweizer, zuerst sprechen sie französisch, doch der am Schalter versteht nichts. Da ertönt das typische Schweizerhochdeutsch - unverkennbar, wollten die sich wichtig machen mit ihrem Französisch?
Wieder hat unsere Kabine kein Bullauge, es ist zum Weinen. In der Nacht fängt das Schiff plötzlich stark zu schwanken an. Wir liegen im Bett, doch mal stehen wir fast auf dem Kopf, dann wieder stehen wir fast auf den Füssen. Allerlei trübe Gedanken umschleichen mich. Könnte man das Ufer wohl schwimmend erreichen? Doch wir erreichen Dänemark am Morgen trocken. Wir schälen uns aus den Leintüchern, wippend ziehen wir uns an, wippend kämmen wir uns, und wippend packen wir unsere Taschen.
Am 29. September stehen wir wieder auf dänischem Boden, und fast fühlen wir uns zuhause. Der Zug bringt uns nach Fredrikshavn und beim Bahnhof stehen zwei Hotels, wir wählen natürlich das günstigere und erhalten ein maximales Zimmer zu einem guten Preis. Wir "wohnen" den ganzen Tag. Wir packen aus, sortieren, packen wieder ein, waschen, schreiben, liegen auf dem Bett und lesen. Dann suchen wir ein Kino und nicht weit entfernt läuft "Term of Trial", ein englischer Streifen.
"Wie weit kommen wir wohl heute?" fragen wir uns am andern Morgen. "Wenn wir Glück haben, vielleicht bis Flensburg". Den Rucksack mit vielem unnötigem Ballast, Souvenirs und so, haben wir zur Post gebracht, nun schleppe ich die schwere Tasche abwechslungsweise mit dem rechten und linken Arm. Wirklich, in Dänemark geht's wieder gut mit Stoppen. In Aarhus setzt uns einer am Anfang der Stadt ab und wir marschieren und marschieren. Am vermeintlichen Ende der Stadt stehen wir still und winken. Ein NSU Prinz sticht uns ins Auge, da ein Freund von uns einen solchen fährt. "Hast Du gesehen, wie der herausgelacht hat", fragt Esthi. Ich sah es. Wir wundern uns, was da so lustig ist. Zwei Minuten später fährt er auf der andern Seite zurück, wendet und hält vor uns an. Es sei nicht leicht, mitten in der Stadt (was!?) zu stoppen. Er lädt uns ein, führt uns zum Zentrum, durch dieses hindurch und entlässt uns am andern Stadtende. "Viel Glück" ruft er uns freundlich zu und macht wieder kehrt. Das nennt man Freundlichkeit!
Und dann kommt ein Opel mit einer Flensburger-Nummer. Zwei junge Männer verladen unser Gepäck und mit ihnen können wir wieder einmal Deutsch sprechen und sogar bis Flensburg mitfahren. In ziemlichem Tempo zischen sie los, oft haarscharf ein Unglück vermeidend, ziemlich frech überholend und übermütig. Esthi schwitzt Blut, ich sehe es ihr an. Wir machen uns auf allerhand gefasst. "Wenigstens koste die Überführung der Leiche nicht so viel, Asche sei ja leicht" flüstert mir Esthi zu... Manchmal beginnt es im Wagen zu stinken. Das sei der Auspuff, denn sie haben nur eine Attrappe, den richtigen hätten sie verloren. Eben kommt wieder eine Welle und der Fahrer öffnet in rasender Fahrt die Türe - gopfridstutz - spinnt der wohl? Wir
Die Jugi ist ein riesiger, alter Gutshof, samt Türmchen und Erkern ein höchst romantisches Gebäude, inmitten von Tannen und Bäumen. Wir schlafen ruhig und zufrieden bis in den Morgen hinein. Das Morgenessen überrascht uns in seiner Reichhaltigkeit. Zufrieden und satt packen wir unsere Sachen, wir haben jedoch keine Ahnung wann eine Fähre geht. Esthi putzt nach dem Billetkauf ausgiebig die Nase und schon fragt uns ein Uniformierter, ob wir denn nicht mit wollten. "Doch", "Na dann sofort", heisst es, hinter uns wird das Tor geschlossen und schon legen wir los.
1. Oktober: Wir sind in Deutschland, nach langer Zeit können wir alles Geschriebene verstehen, wieder einmal können wir mit jedem sprechen. Froh und übermütig spazieren wir in Flensburg herum. Doch schon die erste Person, die wir nach einer Strasse fragen, gibt uns Antwort auf dänisch... Doch, doch, sie könne auch Deutsch, sagt sie auf unsere Frage hin, aber sie habe unserer Aussprache nach gedacht, wir seien Däninnen.
Durch das ZOB-Reisebüro erhalten wir ein günstiges Zimmer. "Hier muss es sein". Aber das betreffende Haus sieht eher wie eine Spelunke als wie ein Hotel aus, wir gehen trotzdem hinein. Es ist aber wirklich das Hotel "Klosterkrog". Wir werden durch die Beiz geführt, gelangen durch einen Hinterhof und eine schmale Treppe hinauf zu einem langen, schmalen, dunklen Korridor, an dessen Ende unser Zimmer liegt. Es ist sehr einfach, niedrig, doch angenehm. Der Ausblick zeigt zwar weder schöne Hintergärtchen, noch das Meer, sondern ein Teerdach, die Hinterfront eines alten Hauses und in der Ferne eine Baustelle. Die Toilette im Korridor, nein, davon lieber nichts. Jedenfalls beruhigt uns das Vorhandenseins eines Feuerlöschers; eine Feuerleiter suchen wir vergeblich, wir hoffen jedoch, dass nichts passiert.
Dann spazieren wir drei Stunden lang durch die Ortschaft. Viele alte Männer mit Schirmmützen und Spazierstock fallen uns auf. "Sicher die Uniform eines Altersheims, damit keiner verloren geht." Esthis Witz in allen Lebenslagen macht die Reise besonders amüsant.
Flensburg hat 96'000 Einwohner, die Hälfte davon muss sich auf der Strasse befinden, denn wir müssen uns richtiggehend durch die Massen schlängeln. In einem Restaurant essen wir Bockwürste und Kartoffelsalat, lieber hätten wir zwar Poulets gehabt, doch unser Kassensturz mahnte zur Zurückhaltung. Vor unseren Augen turnt draussen am Gerüst ein Maler herum. Jetzt klopft er gar auf seinen Magen und deutet auf unser Essen. Doch am Schluss will er nichts wissen von unserem Kartoffelrest...
Ein Kaminfeger kommt uns entgegen. Schnell am Knopf gedreht. "Aber er trägt ja keine Socken!" - "Doppeltes Glück!" Bei einer Lotterieausgabestelle kaufe ich für 20 Pfennige ein Los. "Ich habe nie Glück in solchen Dingen" erkläre ich entschuldigend, aber oha! 10 Mark habe ich gewonnen und bekomme sie gleich ausgehändigt. "Da sagt sie noch, sie habe nie Glück", lacht der Losverkäufer und eine danebenstehende Frau kann sich kaum erholen. Wie ich dann beim Unterschreiben noch gleich die Adresse hinschreiben muss, löst das noch mehr Begeisterung aus. "Nehmen sie das Los als Andenken mit" ruft uns der Verkäufer noch nach.
Leider regnet es am andern Morgen in Strömen, und ans Autostoppen ist nicht zu denken. Im "Klosterkrog" warten wir lange, bis es Zeit ist, auf den Zug zu gehen. Ein alter Mann, genannt Heiner, erzählt halb weinend von seiner gestohlenen Aktentasche. "Drei Tage schon währt dieses Gejammer", sagt der Wirt. "Heiner, hör schon auf, wir haben unsere eigenen Sorgen." Doch Heiner denkt nicht daran, und jeder Neuankommende erfährt die traurige Geschichte. "Diese Hunde, diese elenden, die ernähren sich von so 'was" klagt Heiner. "Erzähl doch lieber mal 'nen Witz oder ein Erlebnis aus deiner Jugend, dein erstes Liebesabenteuer" will der Wirt ablenken, allein, Heiner will lieber schimpfen. "Max, wenn du den Tango tanzt" singt die Wirtin, denn ein Max kommt soeben herein. Seine Sandalen lösen bei diesem Wetter allgemeine Heiterkeit aus. "Dabei ist das so praktisch, da kann das Wasser auch gleich wieder raus" rechtfertigt er sich schmunzelnd.
Im Zug nach Hamburg setzen sich zwei Matrosen zu uns. Sie erzählen von ihren Abenteuern und bieten uns eine Stelle an auf ihrem Schiff. Im Hamburg warten wir in einer Schifferkneipe auf den Anschlusszug der beiden. Tische und Stühle bestehen aus Fässern, und alles trinkt aus den Flaschen, nur wir beide haben ein Glas erhalten. Wir lachen viel und es ist sehr lustig mit den beiden Matrosen.
Am späteren Nachmittag kommen wir an der Reeperbahn vorbei. Neugierig gehen wir durch die Gassen. Es ist natürlich noch viel zu früh, der richtige Rummel geht erst spät abends los. Bunte Lichter, eine Beiz an der anderen, Revuen werden angekündigt, Cabaretts, Showbuden, Wurststände, trotz der frühen Zeit ziemlich viel Volk. Aber keine Radaubrüder und keine Betrunkenen. Wir besuchen aber nur das Wachsfigurenkabinett, das aber eher eine Enttäuschung ist. Schon um 22 Uhr sind wir im Bett, und dies in Hamburg, wo die Nächte doch so lang sind!
Am andern Morgen versuchen wir es wieder mit Stoppen. Schon während wir noch am Laufen sind, und eine günstige Stelle suchen, hält ein grosser Lastwagen neben uns, und wir können in die Kabine hineinklettern. Vier Stunden lang fahren wir mit diesem und geniessen die Sicht von hoch oben. Leider ist aber nichts Besonderes zu sehen. Kaum draussen, nimmt uns wieder einer mit, aber wieder einmal ein grässlicher Fahrer. Er fährt konstant in der Mitte der Strasse, eher links sogar, kommt ihm einer entgegen, stoppt er ab. In jeder Kurve bremst er, und wenn er überholt, dann nur an unübersichtlichen Stellen oder vor Kurven. Er fährt zittrig wie ein Greis und zu allem Elend erzählt er noch von seiner Braut und deren Familienangelegenheiten. Zum Anfang sagt er, dass er in Eile sei, doch dann fragt er plötzlich, ob wir nicht "Einen springen liessen", so fünf Mark sei doch wirklich nichts für uns. Doch wir machen ihm klar, dass wir weder Geld noch Lust hätten zum Einkehren und sind froh, dass wir das Auto bald darauf verlassen können.
Nun fahren wir nach Essen, wo ein Abenteuer auf uns wartet. Während unseres halbjährigen Aufenthalts in Dänemark haben wir mal bei einem Ausflug nach Kopenhagen an einer Wartehäuschenwand die Adressen von zwei deutschen Jungs abgeschrieben und hierauf begann ein emsiger Briefwechsel. Klar, dass wir unsere Brieffreunde auch mal sehen wollen. Direkt beim Bahnhof Essen bekommen wir das letzte Zimmer. Es sind irgendwelche Anlässe hier, die Hotels sind alle vollbesetzt. Esthi isst eine Wurst, und ich sitze dabei. Ein Mann mit nur einem Bein setzt sich zu uns und fängt zu reden an. Er behauptet steif und fest, ich hätte schwarzes Haar (habe aber braunes) und sagt, ich sei ein schwarzer Teufel. Schliesslich sagt er, er werde mich in Winterthur besuchen, er erfahre die Adresse beim Wirt. Deshalb studiere ich mir einen falschen Namen und eine andere Adresse aus, allein, wir müssen uns gar nicht eintragen.
Es ist Wochenende und wir werden von unsern Brieffreunden abgeholt. Achim und Sepp fahren mit uns für zwei Tage ins Sauerland und führen uns durch die schönsten Gegenden. Leider gefällt uns der Briefwechsel selber besser als die dahinter stehenden Schreiber...
Am Montagmorgen können wir mit einem jüngeren Mann nach Wuppertal fahren. Das sei schön, so lange Ferien zu haben, meint er, er hätte schon lange keinen Urlaub mehr gehabt. "Weshalb, was arbeiten sie denn?" frage ich. "Kriminalpolizei." "O, hoffentlich weiss er nichts von unserem letzten Mord", flüstere ich Esthi zu. Er müsse in Wuppertal einen Teenager abholen, der durchgebrannt sei.
Mit dem besten Fahrer unserer ganzen Reise und dessen Freund fahren wir von Wuppertal weiter nach Mannheim. Ein schöner Tag, gute Musik, charmante Begleiter, was will man mehr! "Mer san Oesterreicher" erklären sie uns. Während der Fahrt hält einer seinen grossen, saftigen Apfel nach hinten und sagt einladend: "Beiss'ns amal!"
Auf der Autobahn gibt es eine unfreiwillige Pause, weil nämlich das Benzin plötzlich ausgegangen ist. Die Benzinuhr spuckt anscheinend. Sie seien Autoverkäufer und hätten den Wagen soeben erstanden, erklären sie uns. Alles Schimpfen und Fluchen nützt nichts, sie stossen das Auto auf den Pannenstreifen, und einer muss mit dem Kanister auf die Benzinsuche gehen. Endlich, nach einer Stunde taucht er wieder auf, und fröhlich geht die Fahrt weiter. In Mannheim bringen uns die Kavalliere zu einem Hotel, tragen uns sogar das Gepäck hin und zum Abschied sagen sie, dass sie nun einen Freund besuchen würden. Ob sie, falls dieser nicht zuhause sei, mit uns ausgehen dürften. "Sagen Sie's nur, wenn Sie nicht wollen." Doch wir sagen freudig zu, da es aber erst 19 Uhr ist, rechnen wir nicht damit.
Der nächste Morgen beschert uns ein wehmütiges Gefühl, es ist der letzte Tag unserer Reise. Und nochmals geht alles prima. Mit einen grossen Lastwagen können wir bis an die Schweizer Grenze mitfahren. Für das letzte Stück von Rheinfelden bis Winterthur benützen wir die Schweizerische Bundesbahn, denn in der Schweiz wollen wir nicht stoppen. Sie würde sich genieren, wenn sie jemand sähe, der sie kennt, sagt Esthi.
In unserer Stadt steht weder eine Blechmusik noch unser Stadtpräsident am Bahnhof, auch keiner der fünf, die uns bei der Abreise im März zum Abschied gewunken haben.
Erika (73)